Keine Lösung für Lingener Innenstadtring
Das Konzept einer Einbahnstraße für den Lingener Innenstadtring ist vom Tisch. Wegen eines oberflächlichen Gutachtens beantragt die Verwaltung, die vorgeschlagene Lösung abzulehnen - und setzt sich zu Lasten der Verkehrswende durch.
Der Lingener Innenstadtring, bestehend aus Konrad-Adenauer-Ring, Wilhelmstraße und Bernd-Rosemeyer-Straße, stellt für die Stadt schon lange ein Verkehrsproblem dar: Ein extrem hohes Verkehrsaufkommen, Staus, eine mit Blechlawinen verstopfte Innenstadt und unzureichend ausgebaute Radwege im Stückwerk. Das ist die Verkehrssituation, mit der sich seit einigen Jahren der Lingener Rat beschäftigt. Zuletzt hatte die CDU beantragt, eine Einbahnstraßenlösung für den Stadtring prüfen zu lassen. Ziel dabei: Die „Verbesserung des Verkehrsablaufs für den KFZ-Verkehr und den Busverkehr und den Radverkehr“. In der Tat ist es aus Sicht des ADFC an der Zeit, den Verkehr am Innenstadtring zugunsten von ÖPNV, Rad- und Fußverkehr zu verbessern.
Für eine fahrradfreundlichere Innenstadt
Natürlich muss dem Radverkehr mehr Raum gegeben werden. Für den Lingener Innenstadtring bedeutet dies natürlich auch, dass Fahrspuren, die bislang vorrangig von Autos genutzt werden, zugunsten breiterer und damit sichererer und komfortabler Radwege umgewidmet werden. Das geht z.B. indem die Stadt Abbiegespuren beseitigt oder indem anstelle des Zweirichtungsverkehrs für KFZ nur noch mit einer Fahrspur für den Kraftverkehr die zu überprüfende Einbahnstraßenlösung für Autos gewählt wird. Ebenfalls könnten die Parkstreifen zugunsten eines erweiterten Verkehrsraum für den Radverkehr umgewidmet werden, wie jüngst in Osnabrück geschehen.
Ergebnis des Gutachtens enttäuscht.
Nun liegt das Ergebnis des Planungsbüros Brilon Bondzio Weiser aus Bochum vor. Dessen Ergebnisse jedoch enttäuschen nicht nur wegen der daraus resultierenden Empfehlungen, sondern auch wegen inhaltlicher Schwächen.
Zwar empfehlen die Ingeneure den Verkehrsablauf an den Kreisverkehren Konrad-Adenauer-Ring/Lindenstraße und Lindenstraße/Kurt-Schumacher-Brücke ebenso wie die Radverkehrsführung entlang des Innenstadtrings zu optimieren, sehen aber hinsichtlich der vorgeschlagenen Einbahnstraßenlösung "keine Vorteile für eine verbesserte Verkehrsabwicklung".
Unzureichende Untersuchung führt zu falscher Entscheidung.
Ohne vorhergehende Vorabinformation an die Teilnehmenden stellte die Stadtverwaltung im Ausschuss "Planen, Bauen und Mobilität" der Stadt Lingen den Antrag, auf eine Einbahnstraßenregelung zu verzichten. Diesem stimmten dann mit Ausnahme von den Grünen und gegen den Rat des ADFC-Vertreters Helmut Reimann alle übrigen Ausschussmitglieder zu.
Weshalb Verfahren und Entscheidung zu kritisieren sind
Nach Analyse des Gutachtens und der Diskussion des Ausschusses kommen der verkehrspolitische Sprecher des ADFC Lingen, Helmut Reimann, sowie Silvia Leewe aus dem verkehrspolitischen Arbeitskreis der ADFC Ortsgruppe zu diesen Ergebnissen:
- Keine eigenen Messungen und fehlerhafte Beschreibung
Das Planungsbüro stellte die Situation auf dem Ring dar. Dabei basierte die Darstellung wohl weniger auf eigenen Messungen und Zählungen als auf Material aus anderen Begutachtungen. Zudem war die Beschreibung der Radverkehrssituation zum Teil fehlerhaft. So ist der „Radweg“ am Konrad-Adenauer-Ring (KAR) auf beiden Seiten nicht durchgängig als getrennter verpflichtender Rad-/Fußweg vorhanden. - ÖPNV negativ dargestellt
In einer tabellarischen Übersicht wurden Vorteile und Nachteile einer Einbahnstraßenregelung dargestellt und erläutert. Dabei wurden z. B. nötig werdende Investitionen in den Busverkehr nur als negativ dargestellt. Ein Neudenken beim Busverkehr könnte das ÖPNV-Angebot in Lingen aber auch verbessern, optimieren und zu einer besseren Auslastung führen. - Vorentscheidung im Workshop ohne Vertreter:innen von Radfahrenden, Fußgänger:innen, Klimaschutz und Anwohnenden getroffen
Es war gut zu sehen, dass die Vorteile auf der Seite des Rad-/Fußverkehrs liegen, während der motorisierte Verkehr mehr Nachteile hätte. Leider kam es kaum zu einer Abwägung, sondern eine Vorentscheidung war schon in einem „Workshop“ gefallen. Dieser hatte aus Vertreter:innen der Feuerwehr, des Krankenhauses, der Verwaltung und der Wirtschaft bestanden. Vertreter:innen aus den Bereichen Rad-/Fußverkehr, Klimaschutz oder auch der Anwohner waren nicht dabei.
Man muss sich fragen, welchen Sinn diese „Untersuchung“ eigentlich hatte, oder ob sie weitreichend genug war:
- Konkrete Empfehlungen wurden nicht gemacht, es blieb bei allgemeinen Darstellungen zur möglichen neuen Straßenbreitenaufteilung und bei dem Vorschlag der „Optimierung“, zum Beispiel bei den Ampelschaltungen. Gemeint war offensichtlich die Optimierung für den Kfz-Verkehr in Form einer Grünen Welle. Für querende zu Fuß Gehende und Radfahrende würde dabei allerdings eine Verschlechterung entstehen, da sie länger warten müssten.
- Teillösungen wie z. B. eine Einbahnstraßenregelung auf Teilen des Rings oder eine gemischte Bus-/Fahrradspur, die auch die Rettungsdienste benutzen könnten wurden nicht untersucht.
- Zu aufgezeigten Konflikten wie z. B. an der Kreuzung KAR/Synagogenstraße zwischen geradeaus fahrendem Radverkehr und abbiegenden Kraftfahrzeugen wurden keinerlei Lösungsvorschläge gemacht.
- Allen war vorher bewusst, dass die Lage von Krankenhaus, Rettungsdienst und Feuerwehr sowie die Führung der Buslinien zu Problemen führt und auch bei einer Einbahnstraßenregelung schwierig ist, aber auch Ansätze für Verbesserungen bringen kann. Wer hier Lösungsansätze erwartet hatte, wurde enttäuscht.
- Der genannte Nachteil einer Einbahnstraßenregelung, dass längere Wege durch Umfahren der Innenstadt notwendig werden könnten, ließ unerwähnt, dass der gesamte Ring eine Länge von nur knapp 3 km hat, es also immer nur um kurze Strecken geht.
- Verschiedenen Szenarien und Möglichkeiten wurden nicht durchgespielt. Ebenso fehlten Veranschaulichungen der Gegebenheiten im Bild.
- Gar nicht berücksichtigt wurde, dass eine Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs auch zu weniger Staus in den Bereichen führen würde.
Dominanz des Autoverkehrs bleibt unangetastet
Zu befürchten ist, dass sich an der Situation für den Radverkehr nach diesem Gutachten nichts Grundlegendes ändern wird. Die Priorisierung des motorisierten Verkehrs in Lingen bleibt unangetastet. Insgesamt wirkte das Gutachten recht oberflächlich. Einen echten Erkenntnisgewinn brachte es nicht. Kreative Lösungsansätze fehlten völlig. Mutiges Voranschreiten auf dem Weg zur Verkehrswende sieht jedenfalls anders aus.